Stellungnahme zu zwei Vorfällen im Rahmen der Proteste gegen den Naziaufmarsch

Wir möchten mit diesem Text zu zwei Vorfällen im Rahmen der Proteste gegen die Naziaufmärsche am 2. und 3. September 2011 Stellung nehmen. Neben zahlreichen beeindruckenden und entschlossenen Aktionen gegen die Naziaufmärsche gab es auch eine Reihe von Vorfällen, die auf ein tief verwurzeltes Problem in Teilen des Protestspektrums verweisen: Die offene Flanke zum Antisemitismus mancher linker Gruppen und die Tendenz eben dieser Menschen, Konflikte auf Demos gegen Naziaufmärsche gewaltförmig eskalieren zu lassen.

Warum dieser Text?
Wir, das Alerta!-Bündnis, haben uns in unserer Auswertung der Ereignisse des Wochenendes die Frage gestellt, ob es sinnvoll ist, einen weiteren Text über die Vorfälle und die mit ihnen verbundenen Problematiken zu schreiben. Obwohl Derartiges schon oft dokumentiert und verschriftlicht wurde, kommt es in der antifaschistischen Linken nur vereinzelt zu Diskussionen, aus denen dann auch noch unterschiedlicher Konsequenzen (von bewusster Ignoranz bis zum konsequenten Ausschluss) gezogen werden. Wir sind indes zu dem Schluss gekommen, dass es wichtig ist, diese Vorfälle öffentlich zu thematisieren, da die frühere Kritik offenbar nicht zu einem Umdenken geführt hat. Noch offensiver als in den letzten Jahren haben an den Demonstrationen und Aktionen des Bündnisses “Dortmund stellt sich quer” (DSSQ) Menschen teilgenommen, die den offenen Angriff auf Menschen, die sie als Unterstützer_innen des Staates Israel ausmachen, praktizieren. Sie sind mit ihren diesbezüglichen inhaltlichen Aussagen den antisemitischen Parolen der Nazis so nah, dass es schwerfällt, den Unterschied zu erkennen.

Boykottschilder
Am Freitagabend organisierte DSSQ eine Vorabenddemo “Gegen Faschismus, Imperialismus und Krieg” vom Hauptbahnhof nach Dorstfeld. Im vorderen Block lief hinter dem Fronttransparent (des “3A-Bündnisses”) und in unmittelbarer Nähe von Menschen, die Fahnen der Gruppe “Zusammen Kämpfen Duisburg” trugen, eine Gruppe von Demonstrant_innen, die auf Trageschildern den Boykott des “israelischen Apartheidsstaates” forderten (Bild). Derartige Postulate finden wir schon für sich genommen höchst problematisch. Dass aber solche Forderungen auf einer antifaschistischen Demonstration am Vorabend eines Naziaufmarsches – welcher sich seit Jahren maßgeblich gegen Israel, Jüdinnen und Juden richtet – präsentiert werden können, die derart nah an den Kernforderungen der historischen und aktuellen Nationalsozialisten liegen (eben die Bekämpfung jüdischer Menschen bzw. des an ihre Stelle gerückten Staates Israel), dürfte selbst in der jüngeren Geschichte der antiimperialistischen deutschen Linken ein Novum darstellen.

Wir stellen dem Bündnis “Dortmund stellt sich quer” und den Unterzeichner_innen seines Aufrufs die Frage, ob sie die Forderung dieser Plakate teilen – und falls nicht, warum sie ihnen auf ihrer Demonstration ein Forum geboten haben?

Die Diskussion um Antisemitismus in der Linken ist in den letzten Monaten an mehreren Stellen wieder aufgeflammt, und gerade nach der skandalösen Gleichsetzung des Staates Israel mit dem Nationalsozialismus durch den Duisburger Kreisverband der Linkspartei (link) und die darauf folgenden Statements (z.b. 1, 2) finden wir eine derartige inhaltliche Positionierung auf einer maßgeblich von der regionalen Linkspartei mitorganisierten Demonstration unfassbar.

Übergriffe am Samstag
Auch am folgenden Tag wurde deutlich, dass von einem Teil der durch die von DSSQ Aktionen angezogenen Nazigegner_innen eine handfeste Gefahr für andere Antifaschist_innen ausgeht. Nach Ende der Aktionen zogen viele Antifas vom Convergence Center des Alerta!-Bündnisses aus in einer Spontandemonstration zum Hauptbahnhof, um gemeinsam abzureisen. Als die Demonstration gegen 17:30 Uhr an den Katharinentreppen ankam, begann eine Gruppe von über 30 Menschen einige Teilnehmer_innen der Demonstration anzupöbeln und teilweise körperlich anzugehen. Einige aus der Gruppe der Aggressor_innen trugen Halstücher der stalinistischen MLKP und sind dem Umfeld der umstrittenen “Roten Antifa” zuzurechnen. Ziel der Anfeindungen war eine Person am Ende der Demo, die eine Israel-Fahne bei sich trug. Während die Teilnehmer_innen der sich auflösenden Demo versuchten, die Situation zu beruhigen oder sich direkt vom Schauplatz entfernten, begannen mehrere der Angreifer_innen den Menschen mit der Fahne zu bedrängen und entwendeten die Fahne in der erklärten Absicht, diese anzuzünden. Genoss_innen aus dem Alerta!-Bündnis, die eingreifen wollten, wurden als Rassist_innen tituliert. Im weiteren Verlauf wurden mehrere Personen nicht nur sexistisch und homophob beleidigt, sondern auch bedroht. Die Polizei bildete daraufhin eine Kette, um die Gruppen zu trennen, wodurch einer weiteren Eskalation der Riegel vorgeschoben wurde.

Wer sich die Historie von diversen antiimperialistischen Gruppen in NRW anschaut, wird feststellen, dass solche Übergriffe auf Demonstrationen gegen Nazis, aber auch abseits davon, eine traurige Tradition haben. Immer wieder fallen diverse Gruppen und Personen durch gewalttätige Übergriffe gegen ihnen unliebsame Linke auf (1, 2, 3): Die Liste der Stellungnahmen und Hausverbote ist lang. Wir fordern “Dortmund stellt sich quer” auf, zu diesen Übergriffen Stellung zu nehmen.

Wir begrüßen, dass es in diesem Jahr möglich war, gemeinsame Positionen gegen die Polizei und gegen Gewalt von Neonazis zu formulieren. Diese Übergriffe sind ein Rückschlag für die gerade begonnene Verständigung und stellen die Basis für eine weitere Zusammenarbeit in Frage, wenn DSSQ darauf keine klare Antwort findet.

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2 Antworten zu Stellungnahme zu zwei Vorfällen im Rahmen der Proteste gegen den Naziaufmarsch

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