Für einen unabhängigen Antifaschismus

An dieser Stelle möchten wir gerne einen Redebeitrag der ALM – Antifaschistische Linke Münster – dokumentieren, der auf unserer Antifa-Demo am 31. August 2012 gehalten wurde.

Liebe Freundinnen und Freunde,

vor einer Woche ist die Polizei im großen Stil gegen die Neonazi-Szene vorgegangen. Die Nazigruppen „Kameradschaft Aachener Land“, „Kameradschaft Hamm“ und auch der „Nationale Widerstand Dortmund“ sind zu Vereinen erklärt worden, die nun verboten sind, da ihre Tätigkeiten gegen das Vereinsgesetz verstießen. Es gab zahlreiche Hausdurchsuchungen, der Besitz dieser Gruppen ist beschlagnahmt, ihre Ladenlokale an der Rheinischen Straße und in Hamm können sie nicht mehr nutzen. Klar ist, diese Verbote werden nicht ohne Wirkung bleiben.

In der Öffentlichkeit wurden sie – als ein lange überfälliger Schritt – von vielen begrüßt . Doch sind sie eine Zäsur? Ist damit das Naziproblem gelöst oder sorgen die Verbote lediglich für eine Atempause?

Temporär ist die Nazi-Szene nun geschwächt. Sie verfügt nicht mehr über ihre Infrastruktur, Veranstaltungen durchzuführen wird ihnen schwerer fallen. Das Timing war passend. Es war das Kalkül des Innenministeriums, die von langer Hand vorbereiteten Verbote kurz vor dem 1. September zu erlassen, um damit auch gegen den selbsternannten „Nationalen Antikriegstag“ vorgehen zu können.

Aber die Nazis werden nicht einfach klein beigeben. Sie werden versuchen, sich zu re-organisieren, vielleicht auch gegen das Vereinsverbot klagen. Niemand kann sich darauf verlassen, dass die Polizei auch konsequent gegen Nachfolgestrukturen vorgehen wird. Während die Polizei in Dortmund Nazianmeldungen unterbunden hat, konnten im Aachener Umland Führer der verbotenen KAL sogar als Versammlungsleiter auftreten. Die Erfahrungen von ähnlichen Verboten – sei es gegen Blood and Honour, sei es gegen ostdeutsche Kameradschaften oder die Vereine der Holocaustleugner_innen in OWL – zeigen, dass sich die Nazis neue Betätigungsfelder suchen. Hier liegt unsere Aufgabe als Antifas: Diese Entwicklungen zu beobachten und einzuschreiten, den Nazis also keine Möglichkeit des Rückzugs zu lassen. Stärker im Blick sollten wir zudem die NPD und die JN nehmen. Es wäre nicht verwunderlich, wenn sie die Mitglieder verbotener Kameradschaften aufnehmen würden und ihnen einen legalen Rahmen böten. Erste Tendenzen dazu waren schon vor Monaten festzustellen.

Die Hoffnung, dass sich Dortmund nun von der „Hochburg des Neonazismus“ zur „Modellstadt im Kampf gegen Rechts“ entwickelt, ist auch aus anderen Gründen mehr als trügerisch. Das Innenministerium und die Polizei verfolgen mit den Verboten ein Ziel: Ihnen geht es nicht nur um die Schwächung der Nazi-Szene, sondern ebenso darum, sich als die eigentlichen Vorkämpfer gegen den Neonazismus zu präsentieren. Das Nazi-Problem soll sich mit polizeilichen und ordnungspolitischen Mitteln lösen lassen. Der starke Staat wird`s richten. Der Innenminister gefällt sich in der Rolle desjenigen, der hart durchgreift. Erinnern wir uns: Die neue Tendenz im polizeilichen Handeln setzte sich erst nach der Aufdeckung des „Nationalsozialistische Untergrund“ durch, als die Polizei wegen der von rassistischen Annahmen geleiteten Ermittlungen in der Kritik stand und der Inlandsgeheimdienst sich wegen seiner Verstrickungen und Vertuschungen rechtfertigen musste. Das Vertrauen, was verloren gegangen ist, wollen Polizei und Politik nun zurückgewinnen. Nach Jahren des Desinteresses, schlampiger Ermittlungen und Beteuerungen, man könne Nazi-Kameradschaften nicht verbieten, soll nun plötzlich alles anders sein.

Wer mal einen Blick in Jägers 8-Punkte-Plan gegen Rechts geworfen hat, kann lesen, dass auch der Verfassungsschutz weiter gestärkt werden soll. Nicht umsonst, trat ein Geheimdienstvertreter bei der Pressekonferenz zu den Verboten ans Mikro und erklärte, wie wichtig sein undemokratischer Schnüffelverein sei. So macht man sich unersetzlich. Die richtige Forderung nach der Auflösung der Inlandsgeheimdienste vom letzten November gerät in den Hintergrund. Für Innenminister Jäger war auch der Wahlkampf ein Motiv: Nicht umsonst wurde die „Kameradschaft Köln“ wenige Tage vor der Landtagswahl verboten. Das Verbot war der Testballon für das Vorgehen gegen die Dortmunder Nazis.

Nun könnten wir sagen, auch aus den falschen Motiven können manchmal die richtigen Folgen erwachsen. Die Nazis sind geschwächt. Aber sind wir unabhängige Antifaschist_innen dadurch gestärkt worden? Ist die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Neonazismus und Rassismus gestärkt worden? Ich denke nicht.

Das Vorgehen von Stadt und Polizei gegen das Antifa-Camp und Antifas in den letzten Tagen zeigt, wohin die Reise gehen kann. Unabhängige Antifas stören. Unsere Aktionen werden behindert und eingeschränkt. Dortmund wird zur „Polizeistadt“, in deren Angelegenheiten sich die Grünen bzw. Blauen nicht reinreden lassen wollen. Das faktische Verbot des Antifa-Camps ist ein Skandal und zeigt, wie wenig den Stadtoberen an einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung gelegen ist.

Stattdessen sollen die Verbote beruhigen: Nazis verboten, Problem gelöst, eigenes Engagement ist nicht mehr von Nöten – das ist die Gleichung, die gezogen wird. Doch wir haben immer gesagt, wie wichtig es ist, im Alltag gegen Neonazis vorzugehen; einzugreifen, wenn Menschen bedroht werden; laut zu widersprechen, wenn Rassismus geäußert wird; sich für eine solidarische Gesellschaft einzusetzen, in der Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht, sexuelle Orientierung und Geldbeutel nicht darüber entscheiden dürfen, ob ein Mensch anerkannt und nicht ausgegrenzt wird, in Frieden und Sicherheit leben kann. Wir müssen uns weiterhin für konsequenten Antifaschismus stark machen!

Keiner weiß, wie schnell der Wind sich wieder ändert. Vor wenigen Tagen jährte sich das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen zum 20. Mal. In Angesicht des tagelangen Wütens eines Mobs aus organisierten Neonazis, rechten Jugendlichen und ganz normalen Anwohner_innen, das von der Polizei nicht unterbunden wurde, entstand in Antifa-Kreisen die Parole „Nazis und Staat – Hand in Hand.“ Zwar gab es keine Absprachen zwischen staatlichen Stellen und Neonazis, aber eine Konstellation, die ein arbeitsteiliges Vorgehen darstellte. Medien hetzten jahrelang gegen angeblichen „Asylmissbrauch“, bürgerliche Parteien wollten das Asylrecht abschaffen, Neonazis gingen gewaltsam gegen Flüchtlinge vor. In Rostock brannten, wie zuvor in Hoyerswerda und anderswo, die Flüchtlingswohnheime. Die Polizei überließ dem Mob die Straße und die Politik verurteilte nicht den Rassismus, sondern nutze ihn als Vorwand, das Grundrecht auf Asyl abzuschaffen. In Deutschland als Asylbewerber_in anerkannt zu werden, ist seitdem so gut wie unmöglich.

Dies sind keine Geschichten aus den 1990er Jahren. Die Hetze gegen vermeintlich Fremde und Schwache lässt sich schnell wieder reaktivieren. Wir brauchen den Blick nicht weit schweifen zu lassen. Schauen wir, wie über Roma, über Rumänen und Bulgaren in der Dortmunder Nordstadt gesprochen wird. Schauen wir, wie Polizei und Stadt dort vorgehen. Dann sehen wir deutlich, wie der Rassismus aussieht. Ich habe gesagt, dass nur noch wenige Menschen in Deutschland Asyl bekommen. Doch welchen Anfeindungen sind diese wenigen in Lüdgendortmund oder Hacheney ausgesetzt. Hier sind wir auch gefordert, Solidarität zu zeigen und einzugreifen!

Es bleibt mehr als genug zu tun. Die Verbote werden die Probleme nicht lösen. Verschaffen sie uns eine Atempause, dann sollten wir diese nutzen und weiter am Aufbau einer handlungsfähigen, offenen und solidarischen Antifa-Bewegung arbeiten.

Rassismus bekämpfen!
Für einen unabhängigen Antifaschismus!

Antifaschistische Linke Münster
www.antifa-muenster.de.ms

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