Alerta!-Bündnis zum offenen Brief gegen Rechte Gewalt der Beratungsstelle Backup

Anlässlich eines offenen Briefs der Beratungsstelle Backup veröffentlicht das NRW-weite Antifabündnis Alerta! folgende Stellungnahme:

Als antifaschistische Gruppen aus Dortmund und NRW sehen wir die Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt, Backup, als wichtigen Bestandteil im Kampf gegen die Neonazis. Die 116 Menschen, die im vergangenen Jahr die Dienste der Beratungsstelle in Anspruch nehmen mussten, unterstreichen die Notwendigkeit einer solchen Einrichtung. Der am Montag als “Offener Brief gegen die rechte Gewalt in NRW” von der Beratungsstelle Backup veröffentlichte Text enthält jedoch Passagen, die so nicht tragbar sind. In mehreren “Appellen” wendet sich Claudia Luzar, die wissenschaftliche Leiterin der Beratungsstelle, in dem Schreiben unter anderem an die Neonazis und ihre Gegner, aber auch an Politik, Behörden und Presse. Insbesondere die ersten beiden “Appelle” enthalten Aussagen, die unserer Ansicht nach im Gegensatz zu den Zielen einer unabhängigen, parteiischen Opferberatung stehen, die sich Backup auf die Fahnen schreibt.

Backup ist eine Opferberatung und muss als solche parteiisch mit den zu Beratenden sein. “Tipps” an die Adresse der Neonazis zu richten, wie sie ihre Ziele besser erreichen könnten, verspielt das Vertrauen der Betroffenen. Es muss von Seiten einer Einrichtung wie Backup deutlich erkennbar sein, dass nicht bloß die Gewalt der Neonazis abgelehnt wird, sondern auch die Ideologie, aus der sie entspringt. Es gibt viele gute Gründe, warum Nazis aufhören sollten, Menschen anzugreifen, aber die Tatsache, dass ihnen ihre Gewalt beim Erreichen ihrer Ziele im Weg steht, ist keiner.

Die Ideologie der Neonazis unter die Floskel “ihr politischer Protest” zusammenzufassen, ist eine unsägliche und unverschämte Verharmlosung dessen, was die Neonazis als Programm vertreten. Ihnen geht es um nicht weniger als die Schaffung eines Führerstaates, in dem Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma, Migrant_innen, Homosexuelle und politische Gegner_innen keinen Platz haben. Ihnen drohen die Neonazis mit Entrechtung und Vernichtung. In einer solchen Ideologie ist die Gewalt fester Bestandteil. Von den Neonazis die Besinnung auf demokratische Partizipationsmöglichkeiten zu verlangen, ist gleich doppelt paradox: Zum einen wollen sie ja gerade diese Demokratie abschaffen, zum anderen sollte es “Expert_innen” wie Frau Luzar bekannt sein, dass die Neonazis überhaupt nicht vorhaben, mit ihrer Gewalt die Menschen zu überzeugen. Sie wollen sie einschüchtern und brechen.

Mit der Forderung an Nazigegner_innen, auf Gewalt zu verzichten, stellt sich Frau Luzar in eine Reihe mit dem typischen Muster aus Relativierung und Täter-Opfer-Umkehr, die uns auch als Betroffene aus Polizei, Justiz und Politik nur allzu gut bekannt sind. Wie können Sie sich anmaßen, Betroffenen die Reaktion auf rechte Gewalt vorzuschreiben? Wir stehen solidarisch zu jedem Menschen, der einen Angriff von Neonazis auf sich oder andere abwehrt. Dazu ist es selbstverständlich legitim, Gewalt anzuwenden, niemand muss sich von einem Neonazi verprügeln lassen. Eine solche Delegitimierung der Selbstverteidigung von Seiten der Leiterin der Beratungsstelle Backup ist dem Vertrauen aufs Höchste abträglich. Frau Luzar lässt sich hier auf die Rhetorik derjenigen ein, die seit geraumer Zeit versuchen, eine Spaltung in gute und böse Antifaschist_innen vorzunehmen.

Auch der pauschale Rat an Betroffene, sich bei der Polizei zu melden, hat uns irritiert. Sie sollten es besser wissen. Zu oft hat eine Anzeige nach einem Übergriff von Neonazis zu Ermittlungen der Polizei gegen die Nazigegner_innen geführt. Wir erinnern uns noch gut an zahlreiche Angriffe auf die HirschQ oder den Überfall von Neonazis im Juli 2011, als die Polizei nichts Besseres zu tun hatte, als die gerade mit Messern, Flaschen und Baseballschlägern Angegriffenen des illegalen Plakatierens zu verdächtigen, anstatt nach den flüchtigen Angreifern zu fahnden. Die Aufgabe einer unabhängigen Beratungsstelle ist es, Betroffene über Sinn und Folgen einer Anzeige zu beraten. Backup muss auch denen offenstehen, die von der Polizei keine Hilfe zu erwarten haben.

Leider versäumt es Frau Luzar in ihrem “Appell” an Polizei und Justiz, die vorhandenen Missstände anzusprechen. Kein Wort von der jahrelangen Verschleppung der Verfahren gegen Neonazis, kein Wort davon, dass der Messerstecher, der im Dezember 2010 einen Gast der HirschQ verletzte, immer noch frei herumläuft, weil das Verfahren “auf Eis” liegt.

Wir sind enttäuscht und verärgert. Wir fragen uns, wie ein derartiger Text als Äußerung der Beratungsstelle entstehen konnte. Wir fordern Backup dazu auf, zu den Punkten Stellung zu nehmen und wünschen uns eine Korrektur.

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